Der Machbar-Bericht 2020: Unsere Vision von einer besseren digitalen Welt

Sophia hatte die Möglichkeit, für den machbar-Bericht 2020 unter dem Thema Smart, aber fair: Wie die Digitalisierung alle mitnehmen kann einen Beitrag zu schreiben. In dem Artikel beschreibt sie, welche sozialen Aspekte besonders mitgedacht werden müssen, wenn von einer sozial-nachhaltigen Digitalisierung gesprochen wird.

Das Netzwerk Agenda 2030, in dem auch der deutsche Bundesjugendring Mitglied ist, veröffentlicht 2020 erstmals das neue Format des machbar-Bericht. Der Bericht zeigt aus unterschiedlichen Perspektiven auf, wie nachhaltiges Wirtschaften und Leben realisiert werden kann und geht der Frage nach, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bietet, die globalen Ziele der Agenda zu verwirklichen. Er setzt sich aber auch mit den Risiken und Gefahren der digitalen Entwicklungen auseinander und fragt danach, wie wir sie besser eingrenzen können.

Den ganzen machbar-Bericht findet ihr hier.


Unsere Vision von einer besseren digitalen Welt

Junge Menschen wie ich wollen unser Leben und die Welt um uns herum gestalten. Wir wollen Prozesse nachhaltiger gestalten, damit uns die sozial-ökologische Transformation gelingen kann. Deswegen sind die Sustainable Development Goals der UN in allen Farben und Facetten ein großer Bezugspunkt und wichtiges Thema für uns. Aus diesem Grund fordern wir auch, dass die Digitalisierung der Gesellschaft stärker gerecht und demokratisch gestaltet werden muss – der technische und ökonomische Blick auf Digitalisierung ist bisher viel zu dominant.

Digitalisierung fordert unsere Gesellschaft grundlegend heraus. Sie beeinflusst die Gestaltung zentraler Bereiche unseres Lebens. Und sie wirkt stark auf die Demokratie. Denn die Frage nach Teilhabe wird neu gestellt. Die Frage nach Souveränität. Und die Frage nach sozialem Miteinander. Als junger Mensch sehe ich viele emanzipatorische Potenziale von Digitalisierung. Der Zugang zu Informationen und Wissen wird erleichtert, die Möglichkeiten dezentraler Mitwirkung und Spielräume für gesellschaftliche Innovationen werden vielfältiger. Ich sehe aber auch, dass wir uns auf dem Weg zu einer sozialen, ökologischen und digitalisierten Gesellschaft mit vielen Herausforderungen auseinander setzen müssen. Aus einem sozialen Blickwinkel fallen mir besonders die Themenbereiche Bildung und Geschlechtergerechtigkeit auf.

Das globale Entwicklungsziel zu Bildung formuliert essentielle Ansprüche, die auch für die Digitalisierung gelten: Mädchen und Jungen sollen gleichberechtigt sein. Alle sollen lesen, schreiben und rechnen lernen können – und digital kompetent sein. Alle Staaten, die den SDGs zugestimmt haben, sollen Bildungseinrichtungen bauen und ausbauen, die kinder-, behinderten- und geschlechtergerecht sind und eine sichere, gewaltfreie, inklusive und effektive Lernumgebung für alle bieten. Hier kann Digitalisierung unterstützen. Es heißt aber auch: Bis 2030 soll das Angebot an qualifizierten Lehrkräften in den wenigsten entwickelten Ländern wesentlich erhöht werden. Mein Eindruck ist: An den Ansprüchen scheitern gerade sogar Deutschland und andere europäische Staaten.

Beispielsweise steckt die Digitalisierung von Schulen in den Anfängen. Formen digitalen Lernens sind mehr Experiment als Bildungsalltag. Freie digitale Inhalte im Geiste einer Datenbank des freien Wissens sind Mangelware. Besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie stellt dieser Zustand eine Katastrophe dar: Nicht alle Eltern können dem sogenannten „Home schooling“ gerecht werden. Die Folge: Für tausende von Kindern kommt der Staat dem Recht auf Bildung nicht nach.

Lernen als Grundlage für Bildung geht am Besten miteinander, also kollaborativ. Hier könnte Digitalisierung mehr Wirkung entfalten. Wir brauchen dazu aber unbedingt digitale Zugänge und Werkzeuge, die durch die Gesellschaft finanziert werden und am Gemeinwohl orientiert sind, damit alle sie nutzen können. Und wir brauchen das in allen Bildungsbereichen, auch in der außerschulischen Bildung: An Orten, an denen junge Menschen selbstbestimmt und selbstorganisiert zusammen kommen und Freiräume nach ihren Vorstellungen gestalten.

Speziell in der Bildung für Nachhaltige Entwicklung kann Digitalisierung ebenfalls neue Dimensionen öffnen. Digitale Kommunikation zum Beispiel öffnet die Türe, in den internationalen Austausch zu treten und global gemeinsam Projekte zu bearbeiten. Stimmen weltweit die digitalen Grundlagen, kann eine globale Perspektive entstehen. Es wird leichter, globale Zusammenhänge und Unterschiede zu erkennen und zu analysieren. Internationales Zusammenarbeiten und das Entwickeln von interkulturellen Kompetenzen kann durch die globale Digitalisierung gewährleistet werden und stellen elementare Merkmale für eine gelingende Bildung für Nachhaltige Entwicklung dar.

Es muss uns außerdem gelingen, die digitalen Infrastrukturen aus dem Einflussbereich digitaler Konzerne zu befreien und sie demokratisch zu gestalten. Das wird nicht leicht, es ist aber notwendig, wenn alle an der Digitalisierung teilhaben sollen.

Potenziale von Digitalisierung gibt es auch am fünften SDG, das mir und vielen jungen Menschen wichtig ist: Endlich Gerechtigkeit zwischen allen Geschlechtern zu erreichen, alle Formen der Diskriminierung von Frauen* und Mädchen überall auf der Welt zu beenden. Wir müssen die volle und wirksame Teilhabe und Gleichberechtigung von Frauen* und bei der Übernahme von Führungsrollen auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung im politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben sicherstellen. Dazu müssen unbedingt digitale Technologien und Prozesse, insbesondere Informations- und Kommunikationstechnologien verbessert werden, damit besonders die Selbstbestimmung der Frauen gefördert wird.

Aktuell ist das nicht der Fall, im Gegenteil. Auch im Bereich der Digitalisierung verzeichnen wir einen Gender Gap. Eine Studie der Initiative D21 zeigt, dass die Selbsteinschätzung bezüglich der eigenen digitalen Kompetenzen bei Frauen* und Mädchen schlechter ausfällt als bei Jungen und Männern* –trotz ähnlichem Wissensstand. Das müssen wir in der Gesellschaft diskutieren, in der Wissenschaft untersuchen und in und durch die Praxis ändern- Ich finde, eine nachhaltige Debatte über Digitalisierung braucht eine viel stärkere interdisziplinäre Perspektive. Wir müssen mehrere Dimensionen und Perspektiven zusammenbringen. Wissen und Erkenntnisse vieler Wissenschaften müssen zusammenfließen: Soziologie oder Gender Studies zum Beispiel müssen mit Wirtschaftswissenschaften und technischen Forschungsfeldern verknüpft werden. Am Ende muss das Wissen und die Erkenntnisse über geschlechtsspezifische Aspekte der Digitalisierung zum Empowerment von Frauen* in Debatten über die digitale Transformation verwendet werden.

Mit Blick auf Teilhabe, Bildung und Geschlechtergerechtigkeit stelle ich mir die Frage: Was muss dringend getan werden? Nun: Jede*r muss dieselben Möglichkeiten haben, von den Vorteilen der Digitalisierung zu profitieren. Dazu brauchen wir im Sinne und Interesse gerade junger Menschen mindestens europäische, besser noch eine globale Debatte und eine Strategie für eine nachhaltige Digitalpolitik. Und das auch und erst Recht vor dem Hintergrund, dass aktuell nur die Hälfte der Weltbevölkerung das Internet nutzt und damit die Reproduktion globaler Ungleichheiten manifestiert wird. Meine Forderungen sind deswegen: Ein flächendeckender Zugang zu digitaler Infrastruktur für jeden Menschen, gemeinfreie digitale Werkzeuge, Zugang zu freiem Wissen in jedem Land und für deren Bevölkerung. Das brauchen wir für Zusammenarbeit, Austausch, Vernetzung und für eine bessere Welt in allen Bereichen des Lebens, die in den SDGs gespiegelt sind.