Unter den fünf SDGs, die beim diesjährigen HLPF besonders im Fokus stehen werden, ist auch SDG 6 „Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen“. Über SDG 6, die aktuelle Lage rund um das Thema und Prognosen für die Zukunft konnten wir mit Carolin Stüdemann von Viva con Agua sprechen.
Vielen Dank liebe Carolin Stüdemann, dass du uns einige Fragen rund um SDG 6 beantwortest. Du bist geschäftsführende Vorständin von Viva con Agua e.V. Kannst du uns ein bisschen etwas über Viva con Agua erzählen: Wer seid ihr eigentlich und was macht ihr?
Sehr gerne. Ich freue mich uns vorstellen zu dürfen. Viva con Agua unterstützt Wasserprojekte mit der Vision “WASSER FÜR ALLE – ALLE FÜR WASSER!”. Wasser ist neben der Luft zum Atmen die Grundlage allen Lebens und ein zentrales Menschenrecht. Viva con Agua verfolgt die Vision, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser, Hygieneeinrichtungen und sanitärer Grundversorgung bekommen. Als ALL PROFIT Organisation setzen wir auf die universellen Sprachen Musik, Kunst und Sport, um Menschen für sauberes Trinkwasser zu aktivieren und Spenden zu generieren. Durch freudvolle Aktionen generieren wir Gelder, die schließlich in WASH-Projekte in immer mehr Viva con Agua Ländern fließen. WASH steht für Wasser, Sanitär und Hygiene und verbessert so die Lebensumstände von vielen Menschen langfristig. Elementarer Teil von Viva con Agua sind daher auch die vielen engagierten Menschen, die unsere Vision nach außen tragen und leben.
Im Jahr 2002 wurde der Allgemeine Kommentar Nummer 15 vom UN Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verabschiedet. Dieser besagt unter anderem, dass es ein Menschenrecht auf ausreichend zugängliches, sicheres und erschwingliches Wasser gibt. Wie das mit Menschenrechten leider viel zu oft so ist, sind wir in der Realität noch weit von der Realisierung des Rechts für alle Menschen entfernt. Wo stehen wir gerade? Welche Erfolge lassen sich verzeichnen und in welchen Bereichen gibt es die größten Defizite?
Es ist leider immer noch so, dass 771 Millionen Menschen weltweit der gesicherte Zugang zu sauberem Trinkwasser fehlt. Davon fehlt rund 489 Millionen Menschen sogar die Basis-Versorgung mit Trinkwasser. Größere Gefälle bei der Trinkwasserversorgung sind im globalen Süden häufig zwischen urbanen und ruralen Gegenden festzustellen. Trotzdem lässt sich festhalten, dass in den letzten rund 20 Jahren über 500 Millionen Menschen mehr einen Basiszugang zu sauberem Trinkwasser erhalten haben. Vor uns steht dennoch eine große Herausforderung, denn durch die Klimakrise geraten weltweit zunehmend Menschen unter Wasserstress. Immer häufigere Dürren und Überschwemmungen, die die Wasserversorgung und -qualität in vielen Teilen der Welt verringern und beeinträchtigen zeichnen sich ab.
Wenn wir über den Zugang zu sauberem Wasser sprechen, denken viele Menschen bestimmt erstmal an wirtschaftlich arme Menschen im globalen Süden. Disese Denkweise kommt mir oft sehr naiv und arrogant vor. Denn durch den voranschreitenden Klimawandel und Biodiversitätsverlust wird das Thema Wassersicherheit auch in Europa eine große Herausforderung darstellen. Was erwartet uns in der Zukunft? Was muss jetzt getan werden, um Wasserkrisen in Europa zu verhindern?
Wir haben in den letzten Jahren schon gesehen, dass Wasser auch in Europa immer mehr zum Thema wird. Dürre Sommer und damit verbundene Engpässe beim Wasser, aber auch Naturkatastrophen, wie im Ahrtal, die sich natürlich auf das Grundwasser und Trinkwasser auswirken. Das wird uns auch in Zukunft beschäftigen. Wasserkreisläufe funktionieren global, eine nationalstaatlich begrenzte Sichtweise greift zu kurz. Die nationale Wasserstrategie, die im März verabschiedet wurde, sowie die UN Water Conference in New York sind ein Anfang. Was nun notwendig ist, sind verbindliche, politische Vorgaben und Maßnahmen. Aus meiner Sicht müssen wir den Blick auf das Wasser verändern. Denn hier ist Wasser nur Thema, wenn es zu viel oder zu wenig vorhanden ist. Und es wird als reine “Ressource” gesehen. Lasst uns anfangen, Wasser wertzuschätzen, denn es ist der Ursprung allen Lebens. Wenn wir beginnen, den wahren Wert des Wassers anzuerkennen, werden wir es auch besser schützen. Diese Wertschätzung beginnt in der Bildung und Sensibilisierung, zeigt sich in individuellen Konsumentscheidungen (weniger ist ausreichend) und muss ganz klar in unternehmerischen Entscheidungen bilanziert, sowie durch politische Rahmenbedingungen geschätzt werden.
Im Jahr 2015 wurde die Agenda 2030 und damit auch SDG 6 verabschiedet, welches sauberes Wasser und eine gute Sanitätrversorgung für alle Menschen fordert. Wie vollständig ist dieses SDG aus eurer Perspektive? Fehlen wichtige Unterziele oder Indikatoren oder adressiert SDG 6 alle wichtigen Probleme?
Natürlich sind die Ziele sehr allgemein gehalten. In unterschiedlichen Ländern trifft man auf unterschiedliche Herausforderungen. Aber der Fokus des Ziels ist wichtig: Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten. Viva con Agua möchte mit der Projektarbeit langfristige und nachhaltige Strukturen etablieren. Allen voran müssen die Zusammenhänge zwischen Wasser, Hygiene und Sanitär als ganzheitliches System verstanden werden. Denn nur so lassen sich die Probleme rund um die Wasserversorgung langfristig lösen.
Dieses Jahr beim größten UN Forum für nachhaltige Entwicklung (dem High Level Political Forum) ist SDG 6 zu sauberem Wasser und Sanitärversorgung, ein Fokus SDG, wird als besonders viel Aufmerksamkeit bekommen. Worüber muss unbedingt gesprochen werden und was erwartet ihr von den dort anwesenden Staaten und Organisationen?
Es muss klare Vereinbarungen geben. Einen Fahrplan und Verbindlichkeiten die umgesetzt werden. Das war unsere Enttäuschung bei der Weltwasserkonferenz im März. So gut es war, dass das Thema Wasser so in den Fokus gesetzt wurde und auch medial eine große Aufmerksamkeit bekommen hat, war der Output der Konferenz doch enttäuschend. Denn Berechnungen legen nahe, dass die globale Wassernachfrage im Jahr 2030 um mindestens 40 Prozent über dem Wasserangebot liegen wird. Trotzdem gab es keine multilateralen Commitments der Weltgemeinschaft oder gar konkrete Beschlüsse zu Maßnahmen. Vielmehr agiert der gesamte Wassersektor noch relativ unkoordiniert. Zwar haben Akteur*innen – darunter wir als Viva con Agua – im Vorfeld freiwillige Commitments und Ambitionen verkündet. Doch das schafft noch keinen gemeinsamen Prozess für zukünftiges Handeln und das Überprüfen der Ankündigungen, sondern vielmehr Willensbekundungen. Diese Kritik, stellen wir als Erwartung an das UN-Forum im Juli.
Was kann jede*r einzelne machen, um dazu beizutragen, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen bekommen und dass dieser Zugang auch in Zukunft gesichert ist?
Die Antwort ist für mich eigentlich ein Wort: Engagement. Wir als gemeinnütziger Verein brauchen das Engagement eines jeden Einzelnen, um noch mehr Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen und unsere WASH Projekte auszubauen. Engagement ist dabei vielseitig. Wer die Möglichkeit hat Geld zu spenden, tut das. Wer die Möglichkeit hat seine Zeit zu Spenden, um andere zu aktivieren und Spenden zu sammeln, tut das. Wer die Möglichkeit hat seine Kreativität zu spenden und mit Spendenaktionen auf uns aufmerksam zu machen, tut das. Es gibt viele Möglichkeiten des Engagements bei uns und wir freuen uns über jede*n, der unsere Community bereichert und unsere Vision „ALLE FÜR WASSER – WASSER FÜR ALLE“ unterstützt.
Zuletzt möchte ich mich herzlich für das Interview bedanken und dich noch nach einer Geschichte, einem Fakt oder einem Erlebnis aus deiner Arbeit fragen, das dir Mut macht und Kraft gibt. Uns ist es sehr wichtig, bei solch schwierigen und oftmals auch beängstigenden Themen nicht nur über das Negative zu sprechen, sondern auch über die schönen Dinge.
Darauf baut der Kerngedanke von Viva con Agua auf. Wir möchten die Menschen ermutigen, mit ihrer Zeit, Spende oder Engagement sich für sauberes Trinkwasser einzusetzen. Das möchten wir positiv besetzen. Auch in unserer Projektarbeit: Wir haben zum Beispiel in einigen Ländern die sogenannten Football4WASH Workshops etabliert. Dabei werden jungen Schüler*innen spielend das Basiswissen rund um die richtige Hand- oder Toilettenhygiene beigebracht. Das hat einen mehrfach positiven Effekt, denn die Schüler*innen verbinden sofort positive Dinge damit und prägen es sich besser ein. Das tragen sie zudem auch noch weiter in ihre Familien und Gemeinden und werden auch dort zu Multiplikator*innen.
Beeindruckend für mich, war es zu sehen, wie sich in Uganda und Indien so powervolle und inspirierende Frauen täglich für positiven Wandel, Transformation und universelle Menschenrechte einsetzen – selbstverständlich und definitiv entschieden. Ich lerne an jedem Tag dazu und weiß, dass wir gemeinschaftlich viel bewegen können.
Das Interview führte Franka Bernreiter