„I want you to panic. I want you to act as if the house was on fire. Because it is.“ Das waren die Worte von Greta Thunberg, die mittlerweile sehr bekannte Klimaaktivistin und Initiatorin der Schulstreiks aus Schweden, gestern auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Gleichzeitig tagte in Berlin die Kohlekommission (Koko). Ihre Rede haben sie in ihrer 21-stündigen Marathonsitzung offensichtlich nicht gehört.
Heute, am 26.01.2019 gegen 5:00 Uhr am frühen Morgen, war es dann soweit: Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ – die sogenannte Kohlekommission – hat nach einer letzten Sitzung ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die Kohlekommission wurde von der Bundesregierung eingesetzt, um einen Vorschlag für den Kohleausstieg in Deutschland auszuarbeiten, der auf einem möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens beruht. Dass das wohl nicht so einfach war, ist auch daran zu sehen, dass der Abschlussbericht nun erst mit einiger Verzögerung vorliegt. Denn eigentlich hätte das Konzept schon Ende 2018 und damit rechtzeitig zur COP24 vorliegen sollen. Stattdessen kam Deutschland mit leeren Händen zu den Klimaverhandlungen nach Katowice.
Begleitet wurde der gestrige Tag durch vielfältige Proteste, die direkt vor dem Wirtschaftsministerium stattfanden und maßgeblich von Schüler*innen und Jugendlichen organisiert wurden. Europaweit bildet sich mit #fridaysforfuture eine Bewegung von jungen Menschen, denen es nicht egal ist, wie sie durch eine wenig ambitionierte Klima- und Energiepolitik ihrer Zukunft beraubt werden und die Lebensgrundlage dieses Planeten zerstört wird. Umso bedauerlich ist es, dass es in der Kohlekommission keine Jugendbeteiligung gab. Die Anhörung eines Jugend- und Auszubildendenvertreters in einer Sitzung der Kohlekommission und ein kurzes Gespräch mit Fridays for future kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wichtigen Entscheidungen in der Kohlekommission ohne Stimmrecht für die Jugend getroffen wurden. Für eine ausgewogene Besetzung der Kohlekommission hätten ihre Mitglieder neben Vertreter*innen aus Wirtschaft, Politik, Gewerkschaften und Umweltverbänden auch aus Jugendvertreter*innen bestehen müssen.
Was beinhaltet der Abschlussbericht?
Der Bericht beginnt mit einer Lobeshymne auf die Kohleindustrie. Sie habe Wohlstand für viele Generationen gebracht, Deutschland zu einer weltweit führenden Industrienation gemacht und die entsprechenden Regionen sozial und kulturell geprägt. Jetzt habe die Bundesrepublik die Chance durch einen ambitionierten Kohleausstieg ihre Rolle als Vorreiterin und Innovationsmotor für die Energiewende zu bewahren. Damit verkennt der Bericht, dass Deutschland schon einige Jahre in Sachen Energiewende international zurückfällt und bis dato eines der wenigen europäischen Länder ohne klaren Kohleausstiegsplan war. Im europäischen Vergleich ist der deutsche Strommix immer noch einer der CO2-intensivsten, was maßgeblich aus dem hohen Anteil der Kohleverstromung resultiert.
Nach dieser Einleitung werden zunächst die Zusammensetzung und der Auftrag der Kohlekommission erläutert und dann die generelle politische Ausgangslage analysiert. Die vorgeschlagenen Maßnahmen beginnen auf Seite 70. Diese unterscheiden sich in Maßnahmen für den Energiesektor und den Strukturwandel.
Weil Deutschland sein eigenes Klimaziel, die CO2-Emission bis 2020 um 40% im Vergleich zu 1990 zu senken, sehr wahrscheinlich verfehlen wird, sollten „Maßnahmen zur Reduzierung der Lücke zur Erreichung des 40% Ziels“ ausgearbeitet werden. Von der vollständigen Erreichung hatte sich die Bundesregierung schon im Vorfeld verabschiedet. Ebenso sollte sie Maßnahmen dafür vorschlagen, dass das 2030-Ziel für den Energiesektor (Minderung der CO2-Emissionen um 61-62 Prozent im Vergleich zu 1990) zuverlässig erreicht wird. Außerdem sollte sie ein konkretes Abschlussdatum für die Kohleverstromung vorschlagen.
Wie sieht der Plan aus?
Die Kommission schlägt vor, die Kraftwerkskapazitäten schrittweise zu reduzieren. In einem ersten Schritt sollen bis 2022 5 GW Braunkohlekraftwerke und 7,7 GW Steinkohlekraftwerke vom Netz genommen werden. Bis 2030 kommen hier noch einmal 9 GW Braunkohle- und 8 GW Steinkohlekraftwerke hinzu. Im Jahr 2038 soll dann die Kohleverstromung vollständig beendet werden. Jedoch soll im Jahr 2032 noch einmal überprüft werden, ob der Ausstieg auch bis zum Jahr 2035 vollzogen werden kann.
Mit den Kraftwerksbetreibenden soll sich die Bundesregierung im Einvernehmen über die Abschaltung einigen. Das dürfte hohe Entschädigungszahlungen zur Folge haben. Sofern eine einvernehmliche Lösung bis zum 30.06.2030 nicht erfolgt, empfiehlt die Kohlekommission hingegen, ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Abschaltung zu ergreifen. Die Entschädigungszahlungen sollen nicht über den Strompreis, sondern aus Steuermitteln finanziert werden. Die Höhe der Entschädigungszahlungen könnte über Ausschreibungen erfolgen.
Der angestrebte Erhalt des Hambacher Forst ist, wenn überhaupt nur ein Trostpflaster für einen insgesamt wenig ambitionierten Ausstiegsplan. Andere Europäische Länder, wie z.B. Großbritannien, die Niederlande oder die skandinavischen Länder, haben sich deutlich ambitionierte Ziele gesetzt. Eine Steuerung über die Reduzierung der Kraftwerkskapazitäten sagt zudem nicht zwangsläufig etwas über die von ihnen eingespeiste Energie aus. Sollten Kraftwerke, die schon heute nur bei Leistungsengpässen Strom produzieren und sich bspw. in der Netzreserve befinden, endgültig aus dem Energiesystem genommen werden, verringern sich trotz deutlicher Reduktion der Kraftwerkskapazität die ausgestoßenen CO2-Emissionen der Energieversorgung nur in geringem Maße. Ebenfalls fehlen Zwischenziele zwischen dem Jahr 2022 und 2030.
Den betroffenen Regionen werden im Abschlussbericht umfangreiche Strukturhilfen des Bundes in Aussicht gestellt. Insgesamt sollen rund 40 Mrd. Euro in die betroffenen Regionen fließen. Außerdem sollen Behörden und öffentliche Einrichtungen in den Kohlerevieren angesiedelt werden. Der Anhang des Abschlussprojets enthält zudem rund 200 Seiten über Einzelprojekte zur Strukturentwicklung, die in den betroffenen Regionen umgesetzt werden sollen.
Insbesondere für die jungen Menschen in den Regionen muss die Politik gute Zukunftschancen schaffen. Momentan sind rund 1.000 Auszubildende bei den betreffenden Kohleunternehmen angestellt. Ihnen müssen dauerhafte Beschäftigungsperspektiven in guten, sozial abgesicherten und tarifgebunden Arbeitsverhältnissen gegeben werden. Klimaschutz und gute Beschäftigungsverhältnisse dürfen keine Gegensätze sein. Jede Form der Wirtschaft muss nachhaltig werden, um dauerhafte Perspektiven für Arbeitnehmende, Anwohnende und die Umwelt zu schaffen.
Die Kohlekommission schlägt vor, eine ähnliche Kommission beizubehalten, die dann die Umsetzung des Kohleausstiegs überwachen soll und weitere Empfehlungen abgeben kann. Höchste Zeit, hier die Jugend zu beteiligen.
Insgesamt halten wir den Abschlussbericht der Kohlekommission für nicht ambitioniert genug. Der Kohleausstieg muss sofort anfangen und zügig vollzogen werden. Ein Land wie Deutschland ist volkswirtschaftlich und technisch in der Lage, zeitnah auf eine rein erneuerbare Energieversorgung umzurüsten. Gleichzeitig müssen Strukturbrüche in den betroffenen Regionen sowohl durch finanzielle Ausgleichsleistungen für die Beschäftigten als auch durch eine aktive Ansiedlung von neuen Arbeitsstellen seitens der Politik verhindert werden. Die Folgekosten des Klimawandels, die von unserer und den nächsten Generationen zu bezahlen sind, sind so hoch, dass wir uns ein „Weiter so“ nicht mehr leisten können.
Der Abschlussbericht der Kohlekommission kann hier heruntergeladen werden.