Wie nachhaltig ist der Kohleausstieg?

Am Mittwoch hat das Bundeskabinett einen Entwurf für den Kohleausstieg in Deutschland beschlossen. Laut dem Entwurf sollen bis spätestens 2038 alle Kohlekraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Das Thema ist komplex. Häufig lesen wir nur, dass der Kohleausstieg zu spät kommt und zu teuer sei. Das stimmt zwar, Kritikpunkte an dem gewählten Ausstiegspfad gibt es aber noch mehr. Wir haben den Gesetzesentwurf durchgearbeitet und wollen hier einen kleinen Einblick über unsere Gedanken hierzu geben und unsere Sorgen darüber teilen.

Der Kohleausstieg und die SDGs

Kohlekraftwerke sind die Klimakiller schlechthin. Die deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerke haben 2017 rund 230 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen – das sind rund 25% des damaligen landesweiten Gesamtausstoßes und damit der größte Einzelhebel für effektiven Klimaschutz in Deutschland. Die Verbindung zu SDG 13, das effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel fordert, ist offensichtlich.

Doch der Kohleausstieg berührt auch das SDG 7 (saubere und bezahlbare Energie), SDG 8 (menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum), SDG 9 (Industrie, Innovation und Infrastruktur), SDG 11 (nachhaltige Städte und Gemeinden) direkt. Es können weitere Verbindungen zu fast allen anderen SDGs gezogen werden. Der Kohleausstieg ist ein gutes Beispiel dafür, dass die SDGs nicht allein gedacht werden können, sondern es immer Zielbeziehungen zwischen allen Zielen für Nachhaltige Entwicklung gibt.

Der Abschaltplan

Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien ausgemacht, eine Kommission einzurichten, die unter Einbindung vieler gesellschaftlicher Akteur*innen (junge Menschen wurden hierbei nicht berücksichtigt!), einen Konsens für die Beendigung der Kohleverfeuerung in Deutschland ausarbeitet. In ihrem Abschlussbericht, den sie vor rund einem Jahr veröffentlichte, empfahl die Kommissionen bis spätestens 2038 alle Kohlekraftblöcke abzuschalten. 2032 soll noch einmal überprüft werden, ob der vollständige Ausstieg auch bis 2035 möglich ist. Die Ergebnisse der Kohlekommission hatten wir damals hier zusammengefasst.

Die Kohlekommission konnte sich jedoch in ihrem Abschlussbericht nicht auf einen genauen Abschaltplan einigen. Stattdessen definierte sie lediglich Meilensteine. Bis Ende des Jahres 2022 sollen laut Kohlekommission maximal noch je 15 Gigawatt (GW) Stein- und Braunkohle am Netz sein, bis Ende des Jahres 2030 maximal 9 GW Braunkohle und 8 GW Steinkohle und bis Ende 2038 sollen gar keine Kohlekraftwerke mehr in das Netz einspeisen. Momentan befinden sich rund 40 GW Braun- und Steinkohlekapazitäten im deutschen Strommarkt (zzgl. Kraftwerksblöcke, die sich in der Netzreserve oder in der Sicherheitsbereitschaft befinden).

Verbleibende Restkapazitäten zu den von der Kohlekommission definierten Zeitpunkten

Nun hat es knapp ein Jahr gedauert, bis aus dem Bericht der Kohlekommission unter Federführung des Wirtschaftsministeriums ein Gesetzentwurf zustande kam. Dieser stellt nun einen deutlich konkreteren Abschaltplan vor. Die Minister*innen rühmen sich: Die von der Kohlekommission definierten Meilensteine seien eingehalten. Das stimmt zwar im Wesentlichen, jedoch steckt der Teufel bekanntlich im Detail – dazu muss man etwas auf die Mechanismen der Kraftwerksstilllegung eingehen.

In der Zieldefinition des Gesetzesentwurfs heißt es, die Meilensteine für das Jahr 2022, 2030 und 2038 der Kohlekommission sollen eingehalten werden. Zwischen diesen Daten soll die Gesamtkapazität zu den jährlichen Zieldaten (der Bewertungs-Stichtag ist nicht in jedem Jahr derselbe) linear abnehmen, nämlich „jeweils jährlich um gleich große Mengen Nettonennleistung“ (§4). Hieraus kann das sogenannte „Allgemeine Zielniveau“ (ein Euphemismus für die Summe der sich noch am Netz befindlichen Stein- und Braunkohlekapazitäten) berechnet werden.

Für die Reduktion der Braunkohlekapazitäten wurde ein gesetzlicher Stilllegungspfad definiert (Zielniveau Braunkohle). Diese ist das Ergebnis aus der Verhandlungsnacht zum 16.01. zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten der Kohleländer. Er sagt aus, wann welcher Block eines jeden Braunkohlekraftwerks vom Netz geht. Im Gegensatz zur Braunkohle wurde für die Steinkohle zunächst kein gesetzlicher Ausstiegspfad beschlossen. Stattdessen sollen die Steinkohlekapazitäten (zumindest bis Mitte der 2020er Jahre) über Ausschreibungen marktlich reduziert werden. Dabei erhalten diejenigen Kraftwerksbetreiber*innen einen Zuschlag, die am wenigsten Geld für die Abschaltung ihrer Kraftwerke haben wollen. Der Staat zahlt dann diese Prämie, den sogenannten Steinkohlezuschlag, dann über 15 Jahre in jährlichen Tranchen an die Kraftwerksbetreiber*innen aus. Für jedes Zieljahr gibt es Ausschreibungen, die sicherstellen sollen, dass das Zielniveau bis zum Zieldatum erreicht wird. Das Volumen einer Ausschreibung ergibt sich aus der Differenz der installierten, aktiven Steinkohlekraftwerksleistung und dem Steinkohle-Zielniveau. Das Steinkohle Zielniveau ergibt sich wiederum aus der Differenz zwischen Allgemeinem Zielniveau und dem Zielniveau der Braunkohle.

Das hört sich zwar kompliziert an, aber eine Übersicht bis wann wie viel Kohle maximal noch am Netz sein darf, findet ihr in der nachfolgenden Tabelle:

Tabelle: Verbleibende Kraftwerkskapazitäten zu den Zieldaten. In Gelb markiert sind die Meilensteine der Kohlekommission


Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass ab dem Jahr 2034 die verbleibenden Braunkohlekraftwerkskapazitäten über der nach dem allgemeinen Zielniveau zulässigen Gesamtkapazität liegen. Das bedeutet, neben der Tatsache, dass sich die Bundesregierung mit diesem Gesetzesentwurf eben nicht an die lineare Reduktion der Kohlekapazitäten hält, dass der Ausstieg aus der Steinkohle wohl vier Jahr vor dem Ausstieg aus der Braunkohle erfolgt. Damit ist es die Abschaltung der Braunkohlekraftwerke, also diejenigen Kraftwerke, die je erzeugter Kilowattstunde am meisten CO2 in die Atmosphäre emittieren, besonders lang herausgezögert wird. Allein im Jahr 2038 sollen 6,1 GW, das würde theoretisch in etwa ausreichen, um Dänemark vollständig mit Elektrizität zu versorgen, vom Netz gehen. Bis dahin gehen die Erweiterungen der Tagebaue weiter und sorgen dafür, dass weiterhin ganze Ortschaften niedergebaggert und umgesiedelt werden.

Auch aus Gesichtspunkten der Netzstabilität, die gerne als Hauptargument für längere Laufzeiten von regelbaren fossilen Kraftwerkskapazitäten herangeführt wird, kann zumindest stark bezweifelt werden, ob dieser Ausstiegsplan die richtigen Prioritäten setzt. So zeigen die letzten Systemanalysen der Übertragungsnetzbetreiber vor allem ein massives Erzeugungs-Verbrauchs-Ungleichgewicht zwischen Nord- und Süddeutschland auf. Steinkohlekraftwerke stehen im Gegensatz zu Braunkohlekraftwerken, die immer nur in Nähe der Tagebaue im Rheinland, der Lausitz oder im Mitteldeutschem Revier Strom erzeugen, auch in Süddeutschland. Zwar sieht der Gesetzesentwurf einen Mechanismus vor, der es süddeutschen Kraftwerken schwerer macht, vom Netz zu gehen, dennoch könnte sich das Leistungsungleichgewicht zwischen Nord- und Süddeutschland hierdurch verstärken. In seiner Ausprägung deutlich geringer, aber in der Tendenz durchaus vorhanden, ist zudem die ungleiche Verteilung zwischen Ost, wo neben der Lausitz und dem Mitteldeutschen Revier auch viele Onshore Windenergieanlagen stehen (vor allem in Brandenburg) und West, wo sich neben vielen Kohlekraftwerken aber auch ein Lastschwerpunkt befindet. Der Abschaltplan für die Braunkohle wird auch dieses Ungleichgewicht dadurch verstärken, dass in den ersten 5 Jahren lediglich Kraftwerksblöcke im Rheinischen Revier vom Netz gehen. Das schafft neue Herausforderungen für den Ausbau der Übertragungsnetze, der schon jetzt nicht im eigentlich nötigen Tempo vorankommt.

Für die Stilllegung der Braunkohlekraftwerke erhalten die Betreiber*innen eine Entschädigung, die direkt zwischen diesen und der Bundesregierung im Einvernehmen ausgehandelt wurde. Recherchen des Spiegels legen nahe, dass insbesondere die Betreiberin der Braunkohlekraftwerke in der Lausitz, die LEAG, Milliardenentschädigungen erhält, obwohl sie Kraftwerke nicht signifikant früher vom Netz nimmt als sie dies sowieso aus wirtschaftlichen Überlegungen plante.

Strukturbrüche verhindern

Dass der aufgezeigte Ausstiegsweg gewählt wurde, lässt sich also weniger mit klimapolitischen und energiewirtschaftlichen Überlegungen begründen. Vielmehr sind es andere Faktoren, die die Bundesregierung veranlasst haben, diesen Weg zu gehen.

Es ist vor allem die Angst vor einem misslingenden Strukturwandel. Dass diese Angst nicht ganz unberechtigt ist, haben die Erfahrungen im Ruhrgebiet nach dem Ausstieg aus dem Steinkohleabbau gezeigt. Daher ist es richtig, dass die betroffenen Regionen umfangreiche Finanzhilfen für die Etablierung anderer Wirtschaftszweige erhalten. Die Kohlekommission hatte hierfür in ihrem Bericht seitenweise Vorschläge mit konkreten Projekten gemacht. Jenseits der Kohleverstromung muss es Aufgabe des Staates sein, für gleichwertige Lebensbedingungen in unterschiedlichen Regionen zu sorgen. Hierfür plant der Bundeshaushalt rund 40 Milliarden Euro ein.

Insbesondere durch die Gewerkschaften wurde ein Anpassungsgeld erkämpft, dass allen Beschäftigten über 58 Jahren, die bei Stilllegung eines Kraftwerks ihren Job verlieren, ein Anpassungsgeld garantiert. Ebenfalls soll dafür gesorgt werden, dass sich hierdurch keine Rentenminderung ergibt.

Wir brauchen eine echte Energiewende

Das Jahr 2019 stellte zwar einen Rekord für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien dar, aber der Schein trügt: Die Wetterbedingungen im vergangenen Jahr waren für die Erneuerbaren gut, der Ausbau hingegen katastrophal. Das EEG sieht vor, dass jedes Jahr Onshore Windenergieanlagen mit einer Kapazität von 2.800 MW hinzugebaut werden sollen (ob selbst das ausreichen würde, um die eigenen Erneuerbaren-Ziele zu erreichen, ist fraglich). Tatsächlich gebaut wurden weniger als 1.000 MW. Der Ausbau der Stromnetze verläuft ebenfalls schleppend.

Die bisherigen CO2-Einsparungen gehen vor allem auf den Stromsektor zurück. Die Stromwende muss endlich zu einer richtigen Energiewende werden und dabei alle Dimensionen der Nachhaltigkeit einbeziehen.

Es bleiben also viele Baustellen – der Kohleausstieg verläuft insgesamt zu langsam und setzt die falschen energiewirtschaftlichen Prioritäten. Bleibt zu hoffen, dass der Bundestag den Regierungsentwurf noch einmal deutlich verändert und dann auch durch eine grundlegende Reform des EEGs wieder die erneuerbaren Energien an Schwung gewinnen.

Der Entwurf des Kohleausstiegsgesetz kann hier heruntergeladen werden.